Weißt du was Leben bedeutet?

Manchmal nennen wir es Leben, obwohl es nur Funktionieren ist und manchmal nennen wir es Liebe, obwohl wir uns dabei selbst verlassen.

Weißt du, was Leben heißt?
Wir klagen Tiere der Wildheit an, und vergessen: Wir sind stumpf.
Wir jagen nach Macht, nach Geld, nach Beifall, und nennen es Dasein.
Wir glänzen im Außen, und verhungern im Innen.
Wir gehen voran, und treten doch auf der Stelle.
Wir rufen „Leben“, und sterben am Tag.

Wir wohnen in der Natur, und leben doch neben ihr.
Wir hören, und verlernen doch das Lauschen.
Wir sehen, und verlieren das Erkennen.
Wir fühlen, und meiden das Spüren.
Wir geben nach, und bleiben der Stärke fern.
Kannst du die Stille im Lärm finden?

Wir stehen im Sturm, und übersehen die Ruhe.
Wir suchen den Sinn, und vermeiden das Wie.
Wir leiden am Warum, und verweigern das Annehmen.
Wir verlangen Wärme, und scheuen Nähe.
Wir betrachten Schönheit, und sehen doch nichts.
Wir sprechen von Liebe, und entziehen uns der Hingabe.

Wir reden von Verbindung, und meiden Berührung.
Wir leben in Beziehungen, und fürchten Bindung.
Wir sehnen uns nach Geborgenheit, und schützen uns vor Begegnung.
Wir bleiben beim Gewohnten, und nennen es Treue.
Doch ohne den Tod des Alten wächst kein Anfang.
Wir bleiben, statt zu entdecken.

Unser Leben ist Wasser im Meer der Möglichkeiten:
Es kann steigen, es kann stürzen, es kann neu beginnen.
Es kann gefrieren, klar werden, Licht tragen.
Und wenn die Sonne trifft, glitzert es wie ein Diamant.
Bist du einer, oder bleibst du eine Welle, gebunden an das Morgen von gestern?

Wirst du fliegen lernen, auch wenn die Höhe dich prüft?
Wirst du dich wandeln, damit Reife in dir wohnen kann?
Wirst du fallen, Druck aushalten, aufsteigen, anders zurückkehren?
Wir glauben glücklich zu sein, und erschrecken vor dem Glück.
Wir hoffen auf Wärme, und gewöhnen uns an Kälte.
Wir meinen zu sehen, und verschließen die Augen.

Kannst du dich sehen, ohne Maske?
Kannst du dich fühlen, ohne Urteil?
Kannst du dich spüren, ohne Flucht?
Kannst du dich lieben, ohne Bedingung?
Kannst du das Leben sehen, und nicht nur das Ende?
Weißt du nun, was Leben bedeutet?

Ein Wahrhaftiger wird dich nicht nur anschauen:
Er wird dich wahrnehmen, ohne dich sehen zu müssen.
Er wird dich halten, ohne dich festzuhalten.
Wir leben, um heiter zu sein.
Wir sterben, um still zu werden.
Und wer beginnt, mit geschlossenen Augen zu erkennen,
mit tauben Ohren zu verstehen,
mit versteinertem Herzen zu lieben,
der tritt aus der Fassade ins Leben…

Weißt du nun auch, was Liebe bedeutet?

Ist Liebe das Wort, das wir sagen,
wenn wir Angst haben, still zu werden?
Ist Liebe ein Beweis, ein Vertrag, ein Versprechen,
oder ist Liebe der Moment, in dem wir nichts mehr verstecken?

Wir nennen Nähe oft „zu viel“,
wenn sie uns meint.
Wir nennen Abstand oft „Freiheit“,
wenn er uns schützt.
Und wir verwechseln Gewohnheit mit Geborgenheit,
weil Gewohnheit nicht fragt.

Liebe heißt nicht: jemandem gehören.
Liebe heißt: bei sich bleiben, während man sich öffnet.
Liebe heißt: nicht glänzen, sondern wahr werden.
Liebe heißt: nicht retten, sondern sehen.
Liebe heißt: nicht festhalten, sondern frei sein.

Kannst du lieben, ohne zu prüfen?
Kannst du lieben, ohne dich zu verlieren?
Kannst du lieben, ohne dich zu verschließen?
Kannst du lieben, ohne zu fliehen,
wenn es ernst wird?

Viele suchen Wärme,
aber meiden die Hand, die sie halten will.
Viele wünschen Verbindung,
aber erschrecken vor Berührung.
Viele wollen Geborgenheit,
aber fürchten Bindung, weil Bindung ein Spiegel ist.

Liebe beginnt dort,
wo das „Warum“ leiser wird
und das „Hier“ bleibt.
Wo der Sturm nicht aufhört,
aber du nicht mehr gegen dich kämpfst.
Wo du dich nicht mehr stumpf stellst,
nur um nicht zu spüren.

Und vielleicht ist das der Punkt:
Liebe ist kein Lärm.

Liebe ist Mut, sich fühlbar zu machen.
Liebe ist eine stille Entscheidung,
immer wieder.

Nicht perfekt. Nicht fertig.
Nur echt.

Wenn du mit geschlossenen Augen erkennen kannst,
wann du dich selbst verlässt,
dann erkennst du auch,
wann du jemanden wirklich liebst.

Weißt du nun, was Liebe bedeutet?
Oder kennst du nur die Angst davor,
dass sie dich findet?