Wenn die Angst die Zähne zeigt, ruft die Wölfin in dir nach Boden, Atem, Präsenz. Kein Kampf, kein Fluchtplan – nur Rückkehr. Dies ist eine Geschichte darüber, wie man im Sturm stehen bleibt.

Es beginnt immer leise. Ein Schatten knistert unter der Haut, als hätte jemand tief in mir eine Tür angelehnt gelassen. 03:11 Uhr. Die Nacht ist ein kalter Raum, der Kühlschrank summt, die Wanduhr tut so, als sei Zeit harmlos. Mein Herz stolpert, der Brustkorb wird zu eng, die Luft zu scharf. Ich stehe da mit nassen Handflächen und denke diesen Satz, der nie alt wird: Diesmal reißt es mich fort.
Panik ist kein Theater. Sie ist ein uraltes Protokoll, das dich retten will, auch wenn kein Feuer im Haus ist. Manche einer hätte gesagt: „Fehlalarm, gleiche Sirenen.“ Oder: „Dein System meint es gut mit dir, es irrt nur im Timing.“ Adrenalin macht das Licht überall auf einmal an, Puls hoch, Atmung flach, Muskeln bereit - der Säbelzahntiger kommt. Das Problem ist nicht, dass dein Körper laut wird. Das Problem ist, dass du denkst, du müsstest ihn alleine beruhigen.
Ich habe einmal geglaubt, Mut sei glatt. Dass Mut keine Schweißränder hat, keine zitternde Stimme, kein Stocken. Heute weiß ich: Mut ist, die zitternde Hand geöffnet zu lassen. Mut ist, hier zu bleiben, während alles in dir schreit: Renn. Mut ist der Blick auf den Boden - Fliese, Kante, kleine Macke - und der Entschluss, genau hier zu atmen, obwohl der Atem sich anfühlt wie durch Stacheldraht gezogen.
Wenn die Welle kommt, denke ich an meine Wölfin, meine Instinkte. Nicht an Romantik. An die alte, instinktsichere Kraft, die weiß, wie man durch Stürme geht. Die Wölfin in mir steht mit gesenktem Kopf im Wind. Sie läuft nicht. Sie riecht. Sie prüft. Sie weiß: Geräusch ist nicht gleich Gefahr. Und wenn Gefahr doch echt wäre, würde sie nicht in Hysterie verfallen - sie würde den Takt verlangsamen. Einatmen. Ausatmen. Pfote für Pfote. Ich rufe sie, wenn der Körper brennt. Manchmal kommt sie als Erinnerung - an einen Waldpfad, an den Geruch von Regen auf Erde, an das Knacken eines Astes. Manchmal kommt sie nur als Idee: Ich bin nicht wehrlos. Ich bin alt wie mein Atem.
Ich wünschte, ich könnte sagen, es tut nie weh. Es tut weh. Und es gibt Nächte, in denen ich auf dem Badboden sitze und sauer bin auf meinen eigenen Herzschlag. Aber ich kenne inzwischen den Ablauf dieser Kurve. Sie steigt, sie droht, sie klingt ab. Keine Panik dauert ewig. Das ist nicht Trost, das ist Neurobiologie. Wenn du bleibst - nicht kämpfst, nicht wegdrückst, nur begleitest - lernt dein System, die Sirene wieder leiser zu drehen. Die Wölfin nennt das Geduld. Sie zeigt die Zähne, aber sie beißt nicht in die eigene Kehle.
Scham ist der heimliche Komplize der Angst. „Reiß dich zusammen.“ „Stell dich nicht so an.“ Ich habe Sätze in meinem Kopf beerdigt, die mich einmal wie Leinen geführt haben. Heute sage ich leise: Ich habe gerade Angst. Und es ist, als würde eine unsichtbare Hand meine Rippen ein wenig verschieben, damit wieder Platz ist. Wer dann bleibt, ist mein Rudel. Wer wegsieht, darf friedlich ziehen. Nähe, die Panik aushält, muss keine großen Worte machen. Ein „Ich bin da“… und die Wölfin legt sich neben mich und atmet mit.
Ich kenne meine Verräter: zu wenig Schlaf, zu viel Kaffee, Tage ohne Zwischenräume. Und ich kenne meine Verbündeten: Wasser und Brot, Salz auf der Zunge, kaltes Metall an der Handinnenfläche, die fünf Sinne als Anker - sehen, hören, spüren, riechen, schmecken - nicht als Übung, sondern als Rückruf ins Jetzt. Ich rücke Stühle, bis der Raum wieder zu mir passt. Ich wähle den Gangplatz im Zug, den Rand im Kino, die Tür in Sichtweite. Nicht aus Feigheit. Aus Souveränität. Es ist die Kunst der Wölfin, Wege zu wählen, die sie stark lassen.
Manchmal - das ist das Schwerste - erzählt der Körper Geschichten. Ein Geruch wie im Flur damals. Ein Satz, der das alte Echo trifft. Eine Handbewegung, zu schnell, zu nah. Und plötzlich steht ein früheres Ich im Raum, dünn wie Glas. Früher habe ich mich dafür verachtet. Heute nenne ich meinen Körper eine gute Archivarin. Er legt mir Akten auf den Tisch, unsortiert, aber mit der Bitte um Sichtung. Therapie hat mir beigebracht, den Stempel „JETZT“ zu setzen. Nicht jedes Klopfen ist ein Einbruch. Manches ist wirklich nur die Post.
Ich schreibe das auch, weil ich dich sehe. Dich, die du an Supermarktkassen die Notausgänge zählst. Dich, die du in Meetings auf die Hände starrst, weil dein Herz zu laut ist. Dich, die du im Bett liegst und dir schwörst, morgen anzufangen zu leben, wenn dieses Gefühl nur endlich nachlässt. Und dann kommt die Welle wieder, ungebeten wie ein schlechtes Lied. Hör zu: Du bist nicht kaputt. Du bist ein aufmerksames Tier in einer Welt, die zu oft lärmt. Dein Nervensystem ist nicht dein Feind. Es ist eine Wache, die zu früh trommelt. Du darfst sie umlernen - leise, wiederholt, freundlich. Die Wölfin nennt das Abrichten des Lärms, nicht der Seele.
Es gibt Tage, da lache ich mitten im Kino. Nicht, weil der Film so gut ist, sondern weil ich mittendrin sitze. Es gibt Ampeln, an denen ich nur Wind spüre. Es gibt Abende, an denen ich den Schlüssel umdrehe und weiß: Heute bin ich einmal ganz durch den Tag gegangen, ohne Fluchtplan. Freiheit ist kein Trompetensignal. Freiheit ist der dritte normale Atemzug nach einem Sturm. Und wenn die Angst wiederkommt—sie kommt, sie ist ein Teil von mir - dann treffe ich sie an der Haustür. Ich lasse sie herein, aber ich lasse sie nicht ans Steuer. Setz dich. Atme. Wir fahren nicht heute Nacht.
Ein Stich im Brustkorb: zu begreifen, dass niemand uns retten kommt, aber dass wir nicht wehrlos sind. Dass in uns eine, einer lebt, der älter ist als jede Panik. Eine, die den Wald kennt. Einer, der weiß, wie man den Fehlalarm beruhigt. Dass Heilung nicht bedeutet, nie wieder zu zittern, sondern zu wissen, wohin mit den Händen, wenn es beginnt. Auf die Fliese. An den Puls. Auf die Brust. Und in den Blick derer, die bleiben.
Wenn du jetzt weinst, ist das kein Versagen. Es ist das Wasser, das durch harte Erde findet. Es macht dich weich genug, dass du dich halten kannst. Und wenn gar nichts geht, dann mach es so primitiv wie möglich: Zähl meine Worte, bis sie zu deinem Atem passen. Ein. Aus. Ein. Aus. Ich bleibe derweil hier, bis die Wölfin sich wieder hinlegt. Wir sind nicht weniger, weil wir Angst haben. Wir sind wahr. Und wahr hält länger als jede Welle.